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Letter from Munich – 012

Letter from Munich – the Joseph Affair – 12

EINE DEUTSCHE FASSUNG STEHT WEITER UNTEN.

30 March 2001

Dear Mr. Graf, dear friends,

“The members of the opposition parties in the Bundestag – the German parliament –seem to be living in a parallel universe,” said Erica. “There are serious problems in Germany, in Europe, and in the world – not the least of which is the kind of right-wing extremism that led to the death of the boy Joseph and the subsequent reluctance of the authorities to investigate the affair with any real objectivity – but you would never know that these problems exist if you spoke with the German opposition.”

She had an uncharacteristically cynical expression on her face. “First mad cow and then hoof and mouth disease threaten the European food supply; the German education system is in many respects a disaster; the pension system in this country could be heading for collapse; the euro is starting to disappear again; and the general economic outlook is quite bleak – but, ah, does that concern the opposition? What does our loyal opposition busy itself with?”

“They too are concerned with the things you just mentioned, aren’t they?” I asked.

Erica laughed. “And just where, my friend, have YOU been the past couple of weeks?” She leaned toward us all and said with a kind of passionate intensity, “The German opposition is practically beside itself with indignation because it has been criticized for repeating, ad infinitum, the phrase, ‘I’m proud to be German’.”

“For repeating WHAT?” I said, feeling the kind of mild panic I always feel, when people start talking about things I know nothing about. I don’t listen to the news much, and I had no idea what she meant.

The phrase, “I’m proud to be German,” is a rallying cry of the extreme right wing in this country. The main opposition parties in the Bundestag, the CDU/CSU, have not only taken up this formula – something that is dangerous enough in itself – but they also have accused everyone on the left – including even the German President, Johannes Rau – of practically committing high treason because they are understandably reluctant to parrot the phrase.”

“But what can the government parties do?” I said to her, feeling totally confused now.

Erica smiled. “What they can do is make the phrase their own, by simply adding to it.” She paused and looked at us all. “They could, for example, say, “Yes, of course I’m proud to be German – intensely proud to be German, in the way Dietrich Bonhoeffer was German, in the way Thomas Mann was German, and Edith Stein. I’m proud to be German in the way Hans and Sophie Scholl were German – and Claus von Stauffenberg, Wilhelm Canaris, Hans von Dohnanyi, and all the other heroic Germans who resisted the Nazis. I’m proud to be German the way those who turned their back on Nazi Germany were German, those like Marlene Dietrich, for example, who could have stayed, but did not, and who even today are vilified by many people as “traitors.”

Her eyes shone with a startlingly intense brightness as she added, “I am proud to be a German in the way ALL those who ,betrayed’ Nazi Germany were German.”

I think many of us were almost holding our breath as she leaned back and added quite calmly, “And one of the things that makes me most proud to be a German today is that there are ordinary Germans in Saxony who just once were not afraid to stand up and say to the all-powerful – in their eyes – German authorities, ‘Yes, the boy Joseph was murdered by Neonazis.’ Of course those people were beaten down by those same authorities, until they changed their story – that still happens even in the less primitive parts of this country. After all, not everyone can be a hero. But I believe those people spoke the truth. And truth has a voice of its own. I sometimes think truth has a woman’s voice, because it is a voice that will not be silenced.” She looked at each of us in turn. “Ever.”

Then she added something that I honestly don’t understand. I’m just an ordinary person, and ideas like these have always been beyond me.

Erica said, “Truth cannot be silenced, but there is a paradox there that we are always struggling against. And I think it was the English poet, T.S. Eliot, who defined the problem best. ‘Humankind,’ he said, ‘cannot bear very much reality.’ “

Well, yes. I’m not completely stupid. I’d heard that before. But I didn’t understand it then. And, I’m sorry, but I really don’t understand it now either.

Sincerely yours,

Robert John Bennett

Mauerkircherstrasse 68

81925 Germany

Telephone: +49.89.981.0208

E-Mail: rjbennett@post.harvard.edu

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Since many recipients of this letter may read German more easily than they read English, the following is the author’s own translation of the above letter. Please note that word-processing programs outside of German-speaking countries may not display all of the letters of the German alphabet correctly.

Bitte vergessen Sie nicht, dass der Autor dieses Briefes Autodidakt ist, was die deutsche Sprache betrifft, und er weiß, dass die folgende Übersetzung viele Fehler enthält. Er hofft aber, man werde diese Fehler übersehen, um hinter den Fehlern das sehen zu können, was in diesem Schreiben und in dieser Affäre von zentraler Bedeutung ist.

München, den 30. März 2001

Sehr geehrter Herr Graf, sehr geehrte Freunde,

„Manchmal scheint es, als ob die Mitglieder der Oppositionsparteien in einem parallelen Universum lebten“, sagte Erica. „Es gibt in Deutschland, in Europa und auf der ganzen Welt ernste Probleme – unter denen die Art Rechtradikalismus, die zum Josephs Tod führte und auch dazu, dass die Behörden nur mit Widerwillen diese Affäre echt objektiv untersuchten – aber man würde nie wissen, dass es alle diesen Probleme gibt, wenn man mit Mitgliedern der Opposition sprach“.

Ihr Gesichtsausdruck wirkte ungewohnt zynisch. „Zunächst BSE und dann MKS drohen der europäischen Nahrungsmittelindustrie; das deutsch Bildungssystem ist in mancher Hinsicht eine Katastrophe; das Rentensystem könnte zusammenbrechen; der Euro fängt noch einmal an, zu verschwinden; und die allgemeinen konjunturellen Aussichten sind ziemlich trüb – aber, betrifft das die Oppositions? Womit beschäftigt sich unsere treue Opposition?“

„Aber alle diesen Angelegenheiten, die du jetzt erwähnt haben, bereiten auch der Union große Sorgen, oder?“ fragte ich.

Erica lachte. „Und wo warst DU, mein Freund, in den letzten paar Wochen?“ Sie beugte sich vor und sagte mit einer Art leidenschaftlicher Intensität, „Die deutschen Oppositionsparteien sind fast außer sich vor Entrüstung, weil man sie deswegen kritisiert hat, dass sie den Satz ständig wiederholen, ‚Ich bin stolz, Deutscher zu sein.’ “

„Man hat sie deswegen kritisiert, dass sie WAS wiederholen?“ sagte ich und spürte die Art Panik, die ich immer spüre, als andere Leute fangen an, über Dinge zu sprechen, um die ich nichts weiß. Ich sehe die Tagesschau nicht oft, also hatte ich keine Ahnung, wovon sie sprach.

Wenn man den Satz sagt, ‚Ich bin stolz, Deutscher zu sein’, ist es, als ob man alle Rechtsradikalen in Hörweite zusammenrief. Die CDU/CSU haben sich diese Formel nicht nur angeeignet – was schon gefährlich genug ist – sondern auch haben sie verschiedene Mitglieder der SPD – wie zum Beispiel den Bundespräsidenten selbst – beschuldigt, etwas wie Hochverrat begangen zu haben, weil diese SPD-Mitglieder diesen Satz nicht sehr gern nachplappern“.

„Aber was können die SPD oder die Grünen tun?“ sagte ich ihr. Ich fühlte mich fast total verwirrt.

Erica lächelte. „Das, was sie tun können, ist, sich genau diesen Satz einfach dadurch zu eignen, dass sie noch ein paar Wörter hinzufügen“. Sie hielt inne und schaute uns alle an. „Man könnte sagen, zum Beispiel, ‚Ja, natürlich bin ich stolz, Deutscher zu sein – sogar äußerst stolz, Deutscher zu sein, genauso wie Dietrich Bonhoeffer Deutscher war, wie Thomas Mann Deutscher war, und Edith Stein. Ich bin stolz, Deutscher zu sein, genauso wie Hans und Sophie Scholl Deutsche waren – und Claus von Stauffenberg, Wilhelm Canaris, Hans von Dohnanyi, und alle anderen heldenhaften Deutschen, die Widerstandskämpfer gegen die Nazis waren. Ich bin stolz Deutscher zu sein, genauso wie die, die Nazideutschland den Rücken kehrten, Deutsche waren, und ich denke an Leute wie Marlene Dietrich, zum Beispiel, die in Deutschland hätten bleiben können, aber sie taten es nicht. Sogar heute werden diese Leute von vielen als „Verräter“ bezeichnet und verunglimpft’.“

Dann schien es, als ob ihre Augen glühten, als sie hinzufügte, „Ich bin stolz, Deutsche zu sein, genauso wie ALLE, die Nazideutschland ‚verrieten’, Deutsche waren.“

Es wäre vielleicht keine Übertreibung, zu sagen dass, ihre Wörter vielen von uns den Atem fast verschlagen hatten, als sie im Sessel zurücklehnte und fügte ganz gelassen hinzu, „Und einer der wichtigsten Gründe dafür, dass ich stolz bin, Deutsche zu sein, ist, dass es in Sachsen, wo Joseph starb, normale Deutsche gibt, die mindestens einmal in ihrem Leben keine Angst davor hatten, aufzustehen und den allmächtigen – in ihren Augen – Behörden zu sagen, ‚Ja, das Kind Joseph ist von neo-Nazis ermordet worden’. Natürlich sind diese Leute von diesen Behörden zurückgeschlagen worden, bis sie sagten, dass sie das nicht sahen, was sie sahen – und das passiert manchmal auch in den weniger primitiven Gegenden dieses Landes. Schließlich kann nicht jeder ein Held sein. Aber ich glaube, diese Augenzeugen sagten die Wahrheit. Und die Wahrheit hat ihre eigene Stimme. Und manchmal denke ich, dass die Wahrheit die Stimme einer Frau hat, weil man nie diese Stimme zum Schweigen bringen kann“. Sie schaute uns an, einen nach den anderen. „Niemals.“

Dann fügte sie irgendetwas hinzu, was ich nicht verstehe, ganz ehrlich gesagt. Ich bin kein brillianter Mensch, und solche Ideen übersteigen immer meine Begriffsvermögen.

Erica sagte, „Niemand kann die Wahrheit zum Schweigen bringen, aber genau dort liegt ein Paradox, gegen das wir ständig kämpfen. Und ich glaube, es war der englischer Dichter T.S. Eliot, der das Problem am besten artikulierte. ‚Die Menschheit’, sagte er, ‚kann nicht zuviel Wirklichkeit ertragen’.“

Mit freundlichen Grüßen

Robert John Bennett

Mauerkircherstrasse 68

81925 Germany

Telephone: +49.89.981.0208

E-Mail: rjbennett@post.harvard.edu

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