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Letter from Munich – 020

Letter from Munich – the Joseph Affair – 20

EINE DEUTSCHE FASSUNG STEHT WEITER UNTEN.

25 May 2001

Dear Mr. Graf, dear friends,

I had planned to continue the letter of last week, but something happened today that is perhaps more important. In a discussion with some friends, a young woman spoke up and said, “I talked yesterday with the Joseph’s mother by telephone. She told me the situation in Sebnitz, the town where the boy was killed by neo-Nazis, is worse than ever. Sebnitz has been declared a ‘foreigner-free zone’ by the right wing, in the same way that enthusiastic Nazis declared parts of Germany ‘free of Jews’ in the nineteen-thirties. The parents and their daughter have been cross-examined – in sessions that lasted up to eight hours – by the police, in preparation for a charge of “inciting false suspicions” – a charge now difficult to refute since the evidence they collected and which was seized by the government has still not been returned, evidence that includes post mortem x-rays that were taken of Joseph. The parents have no more police protection around their house, and neo-Nazis are now free to stand in front of the house, give the Nazi salute and shout right wing slogans. ”

“But what about the politicians?” someone asked, “aren’t the politicians doing anything.”

She laughed, and there was cynicism in her laugh. “The politicians have no idea what to do, except to try to make the problem invisible: ‘Are you still THERE?’ was the way a representative of German President Rau recently reacted to a telephone call from Joseph’s mother. You know, the economic situation in Germany is deteriorating, the euro is losing value, so Gerhard Schroeder, the German Chancellor, is hardly in a position to intervene in Sebnitz to try to help the parents. He too is trapped by the need to appease right-wing voters all over Germany. Nor can Schroeder do anything to trigger an investigation of the “accidental” deaths of other foreign children in eastern Germany. Schroeder’s afraid of doing anything that might offend Kurt Biedenkopf, the Prime Minister of Saxony, and the person credited with helping to create whatever prosperity exists there. And Schroeder’s Germany needs all the prosperity that Schroeder can get for it. The truth is – and no one will admit this – Germany is in a more precarious and dangerous situation, economically, politically, socially, than most people realize. And the politicians have no idea what they should do about it. Every possible solution would be accompanied by so many dangers, as they see it, that they are paralyzed with fear. And they do nothing. And the situation gets even worse.”

“The only people who really know what’s going on in Germany,” someone interjected, “are, unfortunately, the pessimists in the business community, whose confidence – or lack of confidence – in the future is affecting everything from the state of the German economy to the value of the euro.”

Heinrich was furious. “He’ll get you, you know. Biedenkopf will get you all, for saying these things. He’s destroyed people who were much more powerful than you, in the course of his career. Biedenkopf will crush you without having to lift a finger.”

“But surely that can’t be true,” I said. “Biedenkopf is a nice man. He’s got such a friendly smile. He’d never hurt people like us – or people like me – people who respect and admire him.”

“You most of all,” Heinrich said, glaring at me. “You with your god-damned letters, always reminding people of Joseph and of Sebnitz and of everything Biedenkopf wants people to forget.”

“Maybe I’m just a foolish old man,” I said. “But I just want to help Biedenkopf. He’s a great leader.”

When I said “Biedenkopf” and the German word for “leader,” Heinrichs expression became absolutely apoplectic. I don’t know why. Well, I admit it: sometimes I just don’t have a clue.

Sincerely yours,

Robert John Bennett

Mauerkircherstrasse 68

81925 Germany

Telephone: +49.89.981.0208

E-Mail: rjbennett@post.harvard.edu

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Since many recipients of this letter may read German more easily than they read English, the following is the author’s own translation of the above letter. Please note that word-processing programs outside of German-speaking countries may not display all of the letters of the German alphabet correctly.

Bitte vergessen Sie nicht, dass der Autor dieses Briefes Autodidakt ist, was die deutsche Sprache betrifft, und er weiß, dass die folgende Übersetzung viele Fehler enthält. Er hofft aber, man werde diese Fehler übersehen, um hinter den Fehlern das sehen zu können, was in diesem Schreiben und in dieser Affäre von zentraler Bedeutung ist.

München, den 25. Mai 2001

Sehr geehrter Herr Graf, sehr geehrte Freunde,

ich hatte vorgehabt, den Brief von letzter Woche fortzusetzen, aber heute kam etwas vor, das vielleicht wichtiger ist. Während eines Gesprächs mit einigen Bekannten, erhob eine junge Dame ihre Stimme und sagte, „Ich sprach telefonisch gestern mit der Mutter von Joseph. Sie sagte mir, die Lage in Sebnitz, der Kleinstadt, wo das Kind Joseph von Neonazis ermordet wurde, ist schlimmer denn je. Die Rechtsradikalen haben Sebnitz für ‚ausländerfrei’ erklärt, genauso wie ihre Nazi-Ahnen in den dreißiger Jahren bestimmte Reichsgebiete für ‚judenfrei’ erklärten. Josephs Eltern und ihre Tochter sind von der Polizei verhört worden, in Sitzungen bis zu acht Stunden, als Vorbereitung darauf, damit diese wegen der Verbreitung ‚falscher Verdächtigungen’ angeklagt werden können. Und da die Staatsanwaltschaft das von den Eltern gesammelte und von der Polizei beschlagnahmte Beweismaterial den Eltern noch nicht zurückgegeben haben, wird es ziemlich schwerig sein, diese Anklage zu widerlegen. Unter diesen Beweisstücken werden Röntgenaufnahmen eingeschlossen, die nach Josephs Tod gemacht wurden. Übrigens jetzt steht das Haus der Eltern nicht mehr unter Polizeischutz, und stattdessen stehen Neonazis oft vor dem Haus, geben den deutschen Gruß und brüllen ihre Slogans“.

„Und wie ist es mit den Politikern?“ fragte irgendjemand. „Tun die Politiker nichts?“

Sie lachte, und man konnte in diesem Lachen den Klang von Zynismus hören. „Die Politiker haben keine Ahnung, was sie tun sollten. Sie können deshalb nichts anderes tun als versuchen, das Problem zu vertuschen: ‚Sind Sie immer noch DA, in Sebnitz?’ war neulich die Reaktion von einem Repräsentanten des Bundespräsidenten, als Josephs Mutter mit ihm telefoniert. Wisst ihr, die Wirtschaftslage in Deutschland verschlechtert sich, der Euro verliert an Wert, also kann Schröder kaum eingreifen in Sebnitz, um zu versuchen den Eltern zu helfen. Schröder auch sitzt in einer Falle, in der Falle des Bedürfnisses, die rechtsgerichteten Wähler überall in Deutschland beschwichtigen zu müssen. Schröder kann auch nichts tun, um eine Untersuchung der Tode ‚durch Unfall’ anderer ausländischen Kinder in Ostdeutschland durchführen zu lassen. Schröder hat Angst davor, irgendetwas zu tun, das bei Biedenkopf Anstoß erregen könnte, weil Biedenkopf schließlich derjenige ist, der die Anerkennung dafür findet, dass Sachsen sich jetzt ein bisschen Wohlstands erfreuen kann, und Schröders Deutschland braucht allen Wohlstand, den Schröder für es schaffen kann. Die Wahrheit ist – obwohl niemand dies zugeben wird – dass Deutschland sich in einer prekäreren und gefährlicheren Lage – politisch, ökonomisch und gesellschaftlich – als die meisten Leute es sich vorstellen können. Und die Politiker wissen es überhaupt nicht, was sie dagegen tun können. Jede denkbare Lösung würde durch so viele Gefahren begleitet werden – wie die Politiker die Lage sehen – dass sie vor Angst gelähmt sind. Deshalb tun sie absolut nichts. Und die Lage verschlechtert sich noch mehr.“

„Die einzigen Leute, die wirklich wissen, was in Deutschland passiert“, warf irgendjemand ein, „sind leider die Pessimisten unter den Geschäftsleuten, deren Zutrauen – oder deren Mangel an Zutrauen – zu der Zukunft auf alles eine Auswirkung hat, von der deutschen Wirtschaftslage bis zum Wert des Euro“.

Heinrich war wütend. „Das werdet ihr ihm büßen, wisst ihr! Das werdet ihr alle Biedenkopf büßen, weil ihr all das gesagt habt! Im Laufe seiner Karriere hat Biedenkopf Leute vernichtet, die viel mächtiger waren, als ihr, und er wird euch zermalmen, ohne einen Finger krumm machen zu müssen“.

„Aber das kann einfacht nicht wahr sein“, sagte ich. „Biedenkopf ist ein netter Mann. Er hat ein so freundliches Lächeln. Er würde nie Leute wie uns – oder Leute wie mich – verletzen, Leute, die ihn respektieren und bewundern“.

„Besonders dich“, sagte Heinrich, mich finster starrend. „Dich mit deinen verdammten Briefen. Du erinnerst alle an Joseph und an Sebnitz und an alles, was die Leute sofort vergessen würden, wenn Biedenkopf seinen Willen durchsetzen könnte“.

„Vielleicht bin ich nur ein dummer, alter Mann“, sagte ich, „aber ich will einfach Biedenkopf helfen. Er ist schließlich ein großer Führer“.

Als ich „Biedenkopf“ und das Wort „Führer“ sagte, wurde Heinrichs Gesichtsausdruck absolut apoplektisch. Ich weiß nicht warum. Na ja, ich gebe es zu, manchmal bin ich einfach ahnungslos.

Mit freundlichen Grüßen

Robert John Bennett

Mauerkircherstrasse 68

81925 Germany

Telephone: +49.89.981.0208

E-Mail: rjbennett@post.harvard.edu

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